So gelingt Integration
Gemeinsame Kunstaktion erzeugt integrative Dynamik.
Wenn junge Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund sich begegnen, füreinander interessieren und gemeinsam kreativ betätigen, ist ein großer Schritt in Richtung einer gelingenden Integration getan. Einen solchen Prozess initiierte das Kunstprojekt „angekommen!?“, das verschiedene Bildungsträger der Stadt Traunstein unterstützten.
Inwieweit sind junge zugewanderte Menschen tatsächlich bei uns angekommen? Dieser Frage gingen einheimische und zugewanderte Jugendliche im Rahmen des Projekts „angekommen!?“ nach, indem sie Fotografien zu den Empfindungen der jungen Menschen erstellten. Angestoßen wurde das Projekt von Ursula Lay, Landesvorsitzende Rektorin der Katholischen Erziehergemeinschaft, und dabei tatkräftig unterstützt vom Kunstverein Traunstein, berichtet dessen Vorsitzender, Herbert Stahl. Durch die engagierte Beteiligung vieler Traunsteiner Schulen, wie die Schule der Phantasie Traunstein, Private Wirtschaftsschule Dr. Kalscheuer Traunstein, Kohlbrenner Hauptschule und das Chiemgau Gymnasium, entstanden über 400 Fotos, die in Form einer Video-Installation in der Alten Wache im Traunsteiner Rathaus präsentiert wurden. Für diesen Zweck stellte der hiesige Media-Markt drei Bildschirme zur Verfügung. Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, die Stiftung Werte Bündnis Bayern und die Erzdiözese München und Freising förderten das Projekt finanziell. „Nachdem die Ausstellung in der Alten Wache nun beendet ist, wird sie noch im Frühjahr im Bayerischen Sozialministerium gezeigt“, freut sich Herbert Stahl.
Für das Chiemgau Gymnasium Traunstein beteiligten sich Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Jahrgangsstufe am Projekt, fachkundig begleitet von den Kunsterziehern Beate Plankar und Jeffrey Veit. Die Schülerinnen Senta Strähhuber und Sarah Krüger beschäftigten sich gemeinsam mit den Brüdern Adamou und Seidou T. – beide leben in einer Einrichtung der Traunsteiner Diakonie – besonders intensiv mit dem Projektthema. „Mit dem Titel ‚angekommen!?‘ konnten wir zunächst gar nichts anfangen“, gesteht Sarah Krüger. Durch die gemeinsamen Gespräche ergaben sich jedoch viele wichtige Erkenntnisse und Details. Wer nach einer langen Flucht in Deutschland angekommen ist, bringt viele Erfahrungen und Prägungen aus dem Heimatland mit. Niemand flieht ohne triftigen Grund. Mit der Flucht verbinden sich immer viele Hoffnungen und Sehnsüchte wie Frieden, Freiheit, Einhaltung von Menschenrechten und neue Freundschaften, aber auch nicht kalkulierbare Risiken. Während der Flucht rücken Tod und Sterben erschreckend nah. Doch auch wenn man endlich im sicheren Deutschland angekommen ist, bedeutet das nicht, dass nun alles gut wird. Sofort ergeben sich weitere Hürden und quälende Fragen: Werde ich als Flüchtling anerkannt oder droht eine Abschiebung? Darf ich einen Beruf erlernen und arbeiten oder wird mir das aufgrund des ungeklärten Status verwehrt? Viele dieser Gedanken und Erfahrungen brachten die Vier in einem beeindruckenden Acrylgemälde zum Ausdruck: Der Umriss der Deutschlandkarte, ein Elefant als Symbol für das Heimatland und Begriffe wie Menschenrecht, Frieden, Freiheit, Freundschaft, Hass, Leben, Zukunft und Geduld, dargestellt in verschiedenen Sprachen. „Wenn man in Deutschland angekommen ist, braucht man sehr, sehr viel Geduld“, weiß Seidou aus eigener Erfahrung. Geduld, um das Anerkennungsverfahren durchzustehen, um wichtige Dokumente oder Genehmigungen zu erhalten, um eine Schule besuchen und eine Ausbildung beginnen zu dürfen. An zentraler Stelle im Gemälde befindet sich ein Pfeil mit der Aufschrift „Umleitung (Richtung Tod)“ als Hinweis auf die allgegenwärtige Lebensgefahr während der Flucht. Zudem findet sich die eindeutige Positionierung: „Im Namen Gottes darf nicht getötet werden!“.
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema hat die vier jungen Menschen einander näher gebracht. Gemeinsam lachen sie über skurrile Momente während des gemeinsamen Arbeitens. Beispielsweise wie erleichtert eine Mutter reagierte, als sie erfuhr, dass die Begriffe auf den Gemäldeskizzen nicht Ausdruck einer depressiven Phase ihrer Tochter sind, sondern Teil eines Kunstprojekts. Die verschiedenen Entstehungsphasen und weitere Eindrücke der gemeinsamen Arbeit hat Senta Strähhuber auf Instagram unter sjk_artsoul veröffentlicht.
Auch nach der zunächst im Sozialministerium geplanten Ausstellung soll das Gemälde nicht in einem Keller eingemottet werden, sondern von sozialen Einrichtungen und Schulen ausgeliehen werden können. Interessenten können sich hierzu an die Traunsteiner Jugendwohngruppe der Diakonie, Telefon 0861 4700, Ansprechpartnerin Antje Little, wenden. Diese Vorgehensweise ist auch ganz im Sinne der vier am Projekt beteiligten Jugendlichen.